Nicolas Jutzet: «Die Schweiz muss ihre Mythen neu entdecken», Feusi Fédéral, Ep. 122

Shownotes

Nicolas Jutzet hat ein provokatives Buch über die Schweiz geschrieben. Der Romand leitet sorgfältig und mit Fakten belegt die Erfolgsrezepte der Schweiz her – und beschreibt, wie sie verloren gegangen sind. Gemeinden und Kantone haben kaum mehr politischen Handlungsspielraum, weil der Föderalismus der zentralen Steuerung der allermeisten Politikbereiche gewichen ist. Statt Milizparlamentarier haben wir zunehmend Profipolitiker, dies, obwohl genau das von der Bevölkerung an der Urne abgelehnt worden ist. «Berufspolitiker wollen auch, dass der Staat immer grösser wird», findet Jutzet. Er war für dei FDP Mitglied im Einwohnerrat in Rochefort (NE), hat wegen dieser Gefahr aber mit der aktiven Politik aufgehört.

https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/19920927/det386.html

Der Mythos der Schweiz als Gegenmodell sei ebenfalls verloren gegangen. «Wir sehen das zum Beispiel bei der Neutralität: Sowohl die USA als auch Russland finden, wir seien nicht mehr neutral, nur wir behaupten das noch», sagt Jutzet, «irgendetwas haben wir falsch gemacht.» Die Schweizer seien froh, dass sie so reich seien, aber sie seien nicht mehr bereit, dafür zu kämpfen. Das Land müsse wieder lernen, weshalb es so reich geworden sei. «Wenn die Schweiz jetzt gut unterwegs ist, dann ist es nicht nur Glück, sondern auch, weil wir vieles richtig gemacht haben.»

Jutzet kritisiert die Internationalisierung der Schweizer Wirtschaft. Damit sei das Verständnis für ein Engagement von Leuten aus der Wirtschaft in der Politik verloren gegangen. Sie verstehen nicht, weshalb wir Lehrlinge ausbilden, weshalb jemand drei Wochen pro Jahr in die Armee geht und warum wir nicht alles von der EU übernehmen.» Damit geht auch das Vertrauen in die Wirtschaft verloren.

Die nötigen Reformen kämen nicht aus der Politik, sondern aus dem Föderalismus Schweiz als Politiklabor. Jutzet schlägt deshalb die Gründung eines «Canton de la Liberté» vor, der wieder neu ausprobiert, wie eine Gesellschaft mit weniger Regulierung funktionieren könnte.

Die FDP muss ihre Geschichte wieder entdecken
Wären diesen echten Mythen der Schweiz nicht das ideale Programm der FDP? «Eigentlich schon», findet Jutzet, der selber Mitglied der FDP ist. «Die FDP muss mindestens ein Thema haben, weshalb man sie wählen soll.» Im Moment sehe er das nicht, weshalb er auf die FDP-Liste auch andere Namen setze. «Man ist bei ihr nicht sicher, was herauskommt.» Das Hauptproblem der FDP sei, dass die meisten Leute nicht aus Überzeugung zu ihr gehören. Die Partei müsse ihre Geschichte und ihre Schwerpunkte wieder entdecken.

Nicolas Jutzet: La Suisse n’existe plus, Chronique d'un pays qui doute, Edition Slatkine, 2023

https://www.slatkine.com/fr/editions-slatkine/75927-book-07211259-9782832112595.html

Kommentare (1)

DominiqueKu

Merci interessantes anregendes Gespräch, 👍🏻 vorallem für einen Bieler der in den frühen Achtzigerjahren an der ecole supérieure de commerce in Neuch studierte, beaucoup a changé

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